Anhang

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Text in geteilter Version (kleinere Dateigröße):

Teil 1 (Vorbemerkung, Seite 1 - 17) Teil 2 (Seite 18 - 42)
Teil 3 (Seite 42 - 73) Teil 4 (Seite 73 - 117)
Teil 5 (S. 117 - Ende)  



Vorbemerkung zum Originaltext

Hildebrand verfaßte sein Buch aus Unzufriedenheit mit den künstlerischen Auswüchsen des sogenannten Realismus in der bildenden Kunst, vor allem der Skulptur seiner Zeit und deren Aufstellung im öffentlichen Raum.

"Die künstlerische Erkenntnis" schrieb er 1906 an seinen Sohn, der Philosophie studierte, "ist ein Produkt der Erfahrung und Begabung und trägt ihre Wahrheit in sich. Diesen Erfahrungsprodukten ihren (ontologischen - Anmerkung d.Verf. - ) Untergrund aufzuzeigen, den Zusammenhang dieser - (zunächst getrennt erkannten) - Erfahrungswahrheiten zu entdecken und darzulegen war die Aufgabe in meinem Buch."

Unter künstlerischer Erkenntnis verstand Hildebrand: die bei der Arbeit an verschiedenartigen Werken erkannten sowohl handwerklichen wie wirkungsmäßigen Formprobleme und Gestaltungsnotwendigkeiten. Er hat seit seiner ersten Italienreise über diese Zusammenhänge künstlerischer Erfahrungen nachgedacht.

Wie in einer Art Vorläufertum der heutigen Hirnforscher, deren Ziel es ist, die kleinsten Schritte der Hirntätigkeit und ihrer funktionellen Vernetzung zu erkennen, ging es ihm darum, die nacheinander sich abspielenden schrittweisen Vorgänge zu klären, die - seiner bildnerischen Erfahrung nach - im Kopf eines kreativen Menschen, vor allem in einem Künstler - von den ständig auf ihn einstürmenden visuellen Eindrücken zu daraus entstehenden (immer mehr oder weniger subjektiven) Vorstellungen von dieser räumlichen, farbigen, in ständiger Bewegung befindlichen Wirklichkeit führen; dann die weiteren Schritte zu benennen, die den Künstler von diesen Vorstellungen zu einer selektierenden Ordnung der Wirklichkeitseindrücke bringen und ihn schließlich zu dem daraus hervorgehenden, Form gestaltenden bildnerischen Ausdruck seiner Eindrücke und Vorstellungen befähigen. Er wollte zeigen, daß ein künstlerisches Werk nicht einfach ein aufgrund handwerklichen Könnens gefertigtes Erinnerungsbild oder eine Nachbildung der Wirklichkeit ist, wie man vielfach meinte, sondern aus einem Fundament von komplexen physischen, psychophysiologischen und geistigen Vorgängen und Erfahrungen hervorgeht, ehe die handwerkliche, den Vorstellungen entsprechende Realisierung und spezielle Formung beginnt, ein Prozeß, den sich der Laie selten klarmacht und der sich im Kopf abspielt.

Dabei ist von Hildebrand auch die wichtige Rolle nachdrücklich bedacht, die die menschlichen Seh-Gesetzlichkeiten, vor allem die doppelte Fähigkeit unseres Auges zu aktivem (räumlichen) und passivem (das Kubische ausschaltendem) Sehen für die Formung eines Werks spielen, bei einem plastischen Werk je nach dem Ort, für den es bestimmt ist.

Zuletzt war es Hildebrand wichtig zu betonen, daß er über das Problem der Form und nicht über das Problem der bildenden Kunst geschrieben habe; keine Kunstphilosophie (wie manche Zeitgenossen wegen seiner Freundschaft mit dem Kunstphilosophen Konrad Fiedler meinten,
ohne den sein Buch ihrer Ansicht nach nicht entstanden wäre). "Man vergißt, daß ich aus einer Familie abstamme, bei der Philosophie und scharfes Denken sozusagen Spezialität war ... Fiedler und ich haben auf ganz verschiedenen Punkten gebohrt, hatten ganz verschiedene Probleme und garade das .... spezielle unserer geistigen Beziehung war diese gegenseitige Unabhängigkeit. Jeder .... hatte seine eigene innere Quelle." (Hildebrand an Wölfflin 1917.)

Das Problem der Form ist auch nicht eine von der Praxis abgehobene Kunsttheorie, sondern eine auf dem "Untergrund" eines Erfahrungs- und Erkenntnisschatzes unseres physisch-geistigen Organismus ruhende Bildhauerlehre, deren Regeln auch von Malern genutzt werden können. Sie behält auch unter den heute drastisch gewandelten Kunstbegriffen ihre Berechtigung als Aufforderung zu nachdenklicher Beherzigung, ja - worauf Hildebrand selbst in einem anderen Brief hinwies - zu möglichen weiteren Erkenntnissen für das Gebiet anderer Kunstarten, wie der sprachlichen und der musikalischen Künste; zu einem weiteren "Aufdecken" ihrer Untergründe, was - wie Hildebrand bemerkte - freilich immer nur durch einen Künstler geschehen könne.
(S.B.)