Adolf Hildebrand galt seit 1880 bis zum Ende des 1. Weltkriegs
als der bedeutendste Bildhauer Deutschlands, als der deutsche Gegenspieler
zu dem 7 Jahre älteren Rodin, den er bewunderte, aber zugleich
mit Argumenten kritisierte, die an die Wurzeln jeglicher Kunstauffassung
rührten. Beide vertraten die Abschaffung des Zuviel an Gegenständlichem,
auch an Psychologischem in der plastischen Auftragskunst; beide
zielten, als sie mühelose Meisterschaft erlangt hatten, auf
Form- und Gegenstandsreduktion, freilich auf sehr verschiedene Art.
Denn Hildebrand kämpfte für die klare, klassische und
vollendete Formung eines Werkes, vor allem der menschlichen Gestalt,
die ihm - wie Goethe - das vornehmste Thema der Kunst war; eine
Formung, in der das, was dargestellt werden soll, ohne jedes überflüssige
Detail voll anschaulich wird. Wo irgend möglich, versuchte
er die Einbindung eines plastischen Werks in eine grössere
Ganzheit, was ihn schliesslich zur künstlerisch und städtebaulich
vollendeten Platzgestaltung führte. Rodins Reduktion dagegen
zielte, bei Absage an thematische Direktheit und Genauigkeit, auf
den Torso, das Nonfinito, das Suggerieren anstelle von eindeutiger
Aussage, schliesslich zu Montagen von Körperfragmenten. Gegen
Rodins nur die Einzelwirkung bedenkenden subjektiven Expressionismus
stand Hildebrands objektiv durchdachte Gestaltung einer Ganzheit.
In Deutschland wurde Hildebrands Wirken stilbildend, nicht nur,
aber vor allem für die Münchner Skulptur und die Platzgestaltungen
der Stadt. Das änderte sich, als die Wirren der Nachkriegszeit
und die grossen Umbrüche des 20. Jahrhunderts Rodins innovative
künstlerische Versuche in den Vordergrund treten liessen, Hildebrands
Werk dagegen und sein Wille zum Schaffen zeitloser Kunst in den
Hintergrund rückten. Heute sieht man Anlass, sich auf seine
Prinzipien neu zu besinnen.