Architektur

"Gewisse architektonische Neigungen von mir basieren auf den Eindrücken meiner Jugendzeit in der Stadt Bern mit ihrer grossen architektonischen Schönheit und ihrem Situationsreiz." (Hildebrands Jugenderinnerungen). "Ich gebe mich jetzt am meisten noch mit den ganzen Bauten ab. Ein Palast, wie er gebaut, dekoriert, das Arrangement im Ganzen ... Ich sehe recht ein, dass nur ein Maler oder Bildhauer Architekt sein kann ..." (Brieftagebuch der ersten Italienfahrt 5.1.1867).
"Ein ganz elementarer Trieb muss Hildebrand früh zur Baukunst hingetrieben haben. Ihre Probleme ... liessen ihn nicht mehr los bis in die letzten Jahre... er musste sich mit ihnen beschäftigen, weil es der Formtrieb seiner Natur so verlangte. Wo er von irgendeiner fruchtbaren (architektonischen) Aufgabe hörte, beschäftigte er sich damit und als sein Einfluss wuchs, versuchte er häufig ihn geltend zu machen und irgendeine Lösung durchzusetzen, in den meisten Fällen vergebens." (W.Riezler im Nachruf auf Hildebrand 1921).

Julius Meier Graefe, berühmter Kunstschriftsteller, Veröffentlicher und Herausgeber der Werke und Briefe von Marées, der Hildebrand in vielem kritisch gegenüberstand, formulierte lapidarer: "Hildebrands Besitz ist der eines Baumeisters ..., eines bewundernswerten Baumeisters ... Der Münchner Hubertustempel ist ein Juwel der Architektur ... Als man im Jahr 1898 Hildebrands Entwurf für das Kaiserdenkmal (Leben) ablehnte, brachte man die Hauptstadt um die vielleicht einzige Gelegenheit, eine würdige Monumentalarchitektur zu erhalten, die womöglich das Schicksal Berlins in glücklichere Bahnen gelenkt hätte. Man sieht mit Recht einen Anschluss an die alte Schinkeltradition. Der Anschluss wäre glücklicher gewesen als alle Versuche Messels, der das Notwendige und Zündende in der Verbindung der Fläche mit der Plastik nur ahnte und die Plastik indifferent behandelte."

Zwischen diesem Modell für das Kaiser Wilhelm-Denkmal und dem Hubertustempel liegt der ganze Weg von Hildebrands Enttäuschungen auf einem Gebiet, für das er, bei aller natürlichen Begabung, nicht fachmännisch ausgebildet war und auf dem man ihm darum keinen öffentlichen Auftrag geben wollte. Zwar hatte ihm der Zoologe Dohrn, selbst ein kreativer Dilettant auf architektonischem Gebiet, die Fassadengestaltung seiner zoologischen Station in Neapel anvertraut, hatten einige Florentiner Bekannte kleine architektonische Aufträge erteilt. Aber auch nach den so gut beurteilten Kaiserdenkmal-Entwürfen konnte Hildebrand nur noch seine zwei eigenen Häuser und das des Dirigenten Levi in Partenkirchen und später kleinere Mausoleumsprojekte nach seinen eigenen Vorstellungen ausführen. Hierher gehören die Mausoleen für den Dirigenten Levi in Partenkirchen, für Wilding in Heidelberg, für Schnitzler in Klink/Mecklenburg (zerstört), für Martius in Kiel und für den Herzog Carl Theodor in Bayern (alle genauestenes untersucht von Peter Pinnau). In dem "Juwel" des Hubertusbrunnens schliesslich konnte Hildebrand einen seiner Lieblingsgedanken: die vollkommene Vereinigung von Architektur, Plastik, Stadtraum und Natur verwirklichen.

Aus der Zeit zwischen dem Kaiserdenkmal-Entwurf und dem Hubertusbrunnen sind zahlreiche Zeichnungen und Pläne erhalten, die meist auf Grund von Wettbewerben entstanden waren. Es sind u.a. Planungen für Berlin, darunter ein architektonisches Mozartdenkmal, für den Bismarckturm auf der Rottmannshöhe bei Starnberg, für eine Kunsthalle an der Alster in Hamburg, für einen Bibliotheksbau hinter seinem Wormses Siegfriedbrunnen und eine Reihe von schönen Vorschlägen für einen Abschluss des Münchner Hofgarten-Tiefparterres nach Süden, für die Schackgalerie und Erweiterungen für die Pinakotheken in München, Theaterpläne für Stuttgart und München, für ein Wiener Theater und der Entwurf für ein Münchener Marées-Museum, sogar ein wohldurchdachter Entwurf für ein Weltausstellungsgebäude und für zweigeschossige Strassenanlagen von erstaunlich modernem Sinn für neue Entwicklungen.

Freilich spielte Hildebrands Rat in der Monumentalbaukommission in München eine wichtige Rolle. Öfter auch hat er sich, teils aufgefordert, teils unaufgefordert in Zeitungen und Zeitschriften zu aktuellen städtebaulichen Maßnahmen geäussert. Diese Artikel sind mit anderen wichtigen Aufsätzen in den von Bock 1969 und 1988 herausgegebenen Gesammelten Schriften Hildebrands veröffentlicht. Seine ca. 13 Aufsätze zu architektonischen Fragen sind heute noch lesens- und beherzigenswert. Auch im 21. Jahrhundert nicht veraltet sind zum Beispiel "Über moderne Städte und die künstlerische Frage", "Vier Fragmente über Architektur", "Einiges über die Bedeutung von Grössenverhältnissen in der Architektur", "Zum Fall Hildebrand", der eine Kritik des Konkurrenzwesens ist, und schliesslich "Die Besteuerung von Kunstwerken".