Porträts

Hildebrand zählte zu den besten Porträtisten seiner Zeit. Von ihm stammen 250 eigenhändige Porträts, 84 davon sind Porträtreliefs. Bedeutende Forscher (Helmholtz, Pettenkofer, Boveri), Erfinder (Siemens), Industrielle (Duisberg), Fürsten (Kaiser Wilhelm II, Bismarck, Angehörige des Hauses Wittelsbach), Künstler und Musiker (Brahms, Clara Schumann, Cosima Wagner, Joseph Joachim) und viele andere liessen sich von Hildebrand porträtieren. Sein Schüler und Mitarbeiter Erwin Kurz schilderte die Reliefkunst Hildebrands anhand von zwei Porträtreliefs: "Unglaublich ist Hildebrands Vollendung im Relief... Am Bronzerelief des Prinzregenten ist das Unbegreifliche, wie in dem Profil das ganze Face drinliegt. Man liest alle Modellierung vom Ohr ab bis zur Nase, die ganz im Hintergrund verschwindet, während das Nasenloch tiefer als der Hintergrund liegt. Beim Siemens ist es gerade umgekehrt, hier liegt die Nase so hoch wie das Ohr und alles ist durch die Silhouette gegeben. Bei jedem neuen Relief findet Hildebrand eine neue Behandlungsart, entsprechend dem Vorwurf." Charakteristisch ist auch, dass Hildebrand das Reliefporträt zwar konventionell, nach klassizistischem Vorbild, meist mit kurzem Halsabschnitt abschloss, diesen aber nie wie mit der Guillotine geschnitten, sondern einfühlsam, dem Gesamtcharakter des jeweiligen Porträts entsprechend, formte. Alle diese, auch an den Porträtbüsten zu entdeckenden Feinheiten der Erfindung und Modellierung sind nur vor dem Original wahrzunehmen; das Foto kann sie nicht wiedergeben.

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Keines seiner Bildnisse zielt auf die Erfassung eines nur vorübergehenden, wenn auch noch so reizvollen Ausdrucks, wie es damals modisch wurde. Keines verrät eine ganz persönliche Handschrift oder Manier. Schärfe und Objektivität der Persönlichkeitserfassung kennzeichnen selbst die Darstellungen ihm sehr nahestehender Menschen. Allen impressionistischen oder gesteigert expressionistischen Tendenzen setzte er seine ruhigen Seinsformen entgegen, die Darstellung des existenziellen Ernstes des jeweils Porträtierten (Julia Brewster 1880, Köln, Wallraf Richartz Museum). Er gab ihre Bildnisse als Fakten, als Dokumente ihres Daseins, durch dessen Individualität hindurch auch ein Allgemeines sichtbar bleiben sollte.

 

Seit seiner Nürnberger Lehrzeit gaben Porträts ihm Anlass zur Konfrontation seiner Formideale und Formgedanken mit der Natur. Von Anfang an bedachte er bei ihrer Gestaltung auch den Ort ihrer Aufstellung. Entsprechend formte er den Büstenabschnitt. Er erfand passende Sockel, die stets anders, aber immer schlicht und zuweilen mit feinen Verzierungen gebildet waren.

 

Bei Grab- und Denkmalaufträgen ergriff er stets die Gelegenheit, das Porträt zum Brennpunkt eines seine Wirkung steigernden architektonischen Rahmens zu machen. Auch hier wiederholte sich seine Erfindungsgabe nie. Bei der Aufstellung eines Porträts im Familienkreis oder der Einfügung in einen schmalen Wandpfosten sorgte er dafür, dass die Würde des Bildnisses als Dokument gelebten Lebens und gestaltender Kunst durch einen je eigenen Rahmen aus der ungeschützten und ungestalteten Umgebung herausgehoben wurde. (Altersporträt Irene Hildebrand 1911). Das geschah durch unterschiedliche Rahmen- oder Tondoform des Steins oder Tons, die dem Hochrelief oder der Dreiviertelansicht oder dem Profil eine eigene Sphäre schufen.

 

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Zu Adolf von Hildebrands wiederentdecktem Bildnis Julius Böhlers

tl_files/letter_stiftung/Adolf-von-Hildebrand/news Bilder/hildebrand_boehler.jpgZur Blüte Münchens als Kunststadt um 1900 trug neben Akademie, regem Atelierbetrieb und den internationalen Ausstellungen auch der florierende Markt historischer und aktueller Kunst bei. Im Jahre 1880 begründete Julius Böhler (1860-1934) seine heute in fünfter Generation und seit 2004 am Starnberger See geführte Kunsthandlung, die einen wachsenden Sammlerkreis aus Großbürgertum und expandierenden Museen vor allem mit alter Kunst versorgte. Das repräsentative Geschäftshaus in der Brienner Straße, erbaut durch Gabriel von Seidl, den Architekten auch des Bayerischen Nationalmuseums, besuchten gekrönte und ungekrönte Häupter des internationalen (Geld-) Adels. Kronprinz Rupprecht von Bayern etwa korrespondierte mit Adolf von Hildebrand (1847-1921) über Bildwerke, angeboten durch Böhler, den Kaiserlichen und Königlich Bayerischen Hofantiquar, und doch unbedingt für die Alte Pinakothek zu erwerben. Hildebrand selbst, der führende Künstler und Theoretiker einer neuklassizistischen Bildhauerei, war 1889 aus seinem idyllischen Klosteratelier bei Florenz nach München übersiedelt, um seitdem in zahlreichen Denkmälern und Brunnen einer Kunst im öffentlichen Raum neuen Ausdruck zu verleihen. Doch welchem Münchener Flaneur verbindet sich heute noch sein Name mit städtebaulichen Akzenten wie dem Wittelsbacher- oder dem Hubertus-Brunnen? Wer weiß um das Schicksal des Reinhard-Brunnens auf der Isarinsel, nach dem Ersten Weltkrieg im wieder französischen Strasbourg abgeräumt und 1929 nach München verkauft? Das damals irritierend moderne Reiterdenkmal des Prinzregenten vor dem Nationalmuseum, schlicht und klar in der Form, erklärt schon in seinem gänzlichen Mangel an zeittypischem Pathos, warum Hildebrands früherer Wettbewerbserfolg um das Berliner Nationaldenkmal durch Kaiser Wilhelm II. hintertrieben wurde. Dessen schließlich siegreichem Favoriten und neubarockem Hildebrand-Gegenspieler, Reinhold Begas, widmet übrigens gegenwärtig das Deutsche Historische Museum eine Ausstellung, die einer künstlerischen Rehabilitierung jenes Denkmalschöpfers allerdings wohl eher einen Bärendienst erweist. Anders als Begas war Hildebrand nie gewandter Diener, sondern geschätzter Vertrauter, gar Freund der Mächtigen seiner Zeit. Die kunstverständigen unter ihnen suchten seine Nähe ebenso wie die bürgerlichen Kunstliebhaber. 

 

So war es denn fast selbstverständlich, daß auch Julius Böhler sich 1917 durch ihn porträtieren ließ. Der ausdrucksvolle Kopf mit wachem Blick und sprechendem Mund blieb als lebensgroßer und bronzierter Gips fast einhundert Jahre im Besitz der Böhler-Nachfahren. Der Name seines Schöpfers jedoch hatte sich verloren. Am vergangenen Dienstag wurde das unerkannte Werk, vermutlich ein Unikat, in einer Versteigerung des Auktionshauses Nusser für einen geringen Betrag an die LETTER Stiftung in Köln abgegeben; diese nimmt seit kurzem die Aufgaben der einstigen Hildebrand-Stiftung wahr. In München selbst stellt die Neue Pinakothek, die Hildebrands Ateliernachlaß seiner Gipsmodelle bewahrt, neuerdings vermehrt aus diesem Fundus aus. Und im umfangreichen Zeichnungs- und Photobestand der Technischen Universität haben sich immerhin drei historische Aufnahmen des bislang verschollenen Porträts erhalten. Was wieder einmal zeigt, daß akribische Forschung und Aufmerksamkeit gegenüber dem Angebot des Kunstmarktes stets überraschende Wiederentdeckungen erlauben. Hildebrand übrigens, mehr Bildhauer als Profiteur, soll sich seinerzeit von Böhler einen antiken Marmortorso als Honorar erbeten haben.