01.08.2021 09:00
Johann Jacob Haid (Kleineislingen 1704 - 1767 Augsburg)
nach
Marie Madeleine Igonet (tätig in Paris ca. 1745/1755)
nach
Jean-Baptiste Marie Piere (Paris 1714 - 1789 Paris)
Der aus einer Künstlerfamilie stammende, ursprünglich als Maler ausgebildete Johann Jacob Haid spezialisierte sich wie seine zwei Brüder Johann Lorenz und Johann Gottfried sowie später sein Sohn Johann Elias und sein Neffe Johann Philipp auf die Technik des Mezzotinto. In der Reichsstadt Augsburg unterhielten sie einen florierenden Verlag, in dem überwiegend Porträtgraphik und religiöse Motive verlegt wurden.
Bei der direkten Vorlage für das Blatt der „Bildhauer Kunst“, welches sich mit seiner zweisprachigen Betitelung auch an ein „internationales“ Publikum richtete, handelt es sich jedoch nicht um das in der Bezeichnung angegebene Gemälde des französischen Malers Jean-Baptiste Marie Pierre, der als „Premier Peintre du Roi“ zu den renommiertesten Künstlern seiner Zeit zählte und v.a. das gattungsmäßig am höchsten stehende Fach der profanen und der religiösen Historie behandelte. Vielmehr diente als unmittelbare Vorlage ein Stich der gleichfalls in Paris tätigen Kupferstecherin Marie Madeleine Igonet, den sie 1752 nach dem Gemälde Pierres angefertigt hatte.
Haids Mezzotintoblatt gibt den Stich in leicht größerem Plattenmaß seitenverkehrt gegenüber Igonets Reproduktion wieder, erreicht damit aber eine Seitenrichtigkeit gegenüber dem Gemälde. Igonet hatte dieses seitenverkehrt reproduziert, da die Komposition in beiden Ausrichtungen „funktioniert“ und sie sich so die mühsame Arbeit einer Umpausung der Stichvorzeichnung ersparen konnte.
Neben der „Bildhauer Kunst“ existiert noch ein zweites Blatt von Haid nach einem Stich von Igonet mit dem Titel „La Peinture. Die Mahler Kunst“, dem jedoch ein Gemälde von François Boucher zugrundeliegt. Auch hier ist Haids Mezzotinto seitenverkehrt zu Igonets Stich und damit seitenrichtig gegenüber dem Gemälde, so daß der von ihm intendierte Pendantcharakter gewahrt bleibt, der sich nicht nur motivisch (Malerei und Bildhauerei als „Schwesterkünste“ und zugleich Konkurrentinnen in der Frage, wer die Natur am trefflichsten getreu dem Motto „ars simia naturae“ wiederzugeben versteht), sondern auch in der kompositionellen Ausrichtung (Maler und Bildhauer sind in ihrer Blickachse aufeinander bezogen) widerspiegelt.
Die Gemälde von Boucher und Pierre waren allerdings nicht per se als Pendants konzipiert, sondern entstanden unabhängig voneinander als eher intime Genrestücke und zugleich „Reflexionen“ über die Tätigkeit es Künstlers. Ob die Idee, beide Gemälde zu Pendants im Stich zu vereinen – eine seit dem 17. Jahrhundert beliebte Form der „Dialogisierung“ von Kunst unter thematischen aber auch rein ästhetischen und nicht zuletzt raumdekorativen Aspekten – von Igonet selbst ausging oder ein Verleger oder Sammler dies veranlaßte, ist heute nicht mehr zu rekonstruieren. Ebenso wie die Frage, ob Pierre und Boucher darüber in Kenntnis gesetzt oder vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. Denkbar wäre überdies, daß die Maler selbst eine Reproduktion initiierten, da die Vervielfältigung eines Gemäldes eine willkommene Werbung darstellte und den künstlerischen Marktwert erhöhen konnte.
François Boucher
Le Peintre de Paysage
Öl auf Leinwand
40,8 x 32,0 cm
New York, Christie’s,
Old Master Paintings, 19.0.2018, Lot 35 (aktueller Standort unbekannt)
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In der Verlagsadresse beider Stiche Igonets wird sowohl die Künstlerin als auch ein nicht weiter nachzuweisender M. Bourguet genannt, bei dem es sich möglicherweise um ihren Mann handelt, da beide Namen durch ein „et“ verbunden sind. Als weiterer Distributor erscheint der Kupferstecher Louis Surugue (um 1686-1762), der ebenso wie Igonet sowohl als Künstler wie auch als Verleger tätig war und als „Vertriebspartner“ zugleich Werke seines Kollegen verkaufte – eine im Paris des 18. Jahrhundert durchaus übliche Praxis.
Marie Madeleine Igonet, deren genaue Lebensdaten unbekannt sind, gehört zu den wenigen Künstlerinnen des 18. Jahrhunderts, die eine Ausbildung als Kupferstecherin absolviert hatten und damit ihren Lebensunterhalt bestritten. Sie pflegte nicht mehr den reinen, klassischen Linienstich, wie er noch unter Ludwig XIV. (1638-1715) vorherrschend war und v.a. zur Reproduktion von Porträts und historischen Themen eingesetzt wurde, sondern kombinierte Kupferstich und Radierung zu einer mehr malerischen Gesamtwirkung, die der skizzenhaft-flüssigen Malweise von Pierre wie von Boucher entgegenkam.
Nichtsdestotrotz wirken beide Gemälde in Igonets Blättern graphisch-linear gedacht und vermögen in ihrer präzisierend-harten Detailzeichnung die genuin malerische, auf dem Zusammenspiel der tonigen Farbwerte basierende Wirkung nur begrenzt wiederzugeben.
Anders sieht es dagegen bei den beiden Blättern Haids aus, der durch die Wahl des per se malerisch „gedachten“ Mediums des Mezzotinto, bei dem nicht linear in die Platte „graviert“, sondern flächig-nuancierend Hellwerte aus dem anfangs satt schwarzen Grund herausgeschabt werden, der Licht- und Schattenwirkung und der tonig-malerischen Auffassung der von ihm im Original nicht gesehenen Vorlagen weitaus näher kommt. Auch wenn seine Platten wesentlich weniger detailreich ausgearbeitet sind, als es die Vorlagen (der Stich ebenso wie das Gemälde) vorgaben, und die Darstellung damit „bereinigter“ und summarischer wirkt. So entsteht in der doppelten Reproduktion bzw. dem zweifachen Umsetzungsprozeß die Paradoxie einer Annäherung durch Entfernung.
Das wohl erstmals im Salon 1747 ausgestellte Gemälde Pierres befand sich ursprünglich in der Sammlung des Bildhauers Jean-Baptiste II Lemoyne (1704-1778), mit der es in dessen Todesjahr zusammen mit dem als Pendant gestochenen Bild Bouchers zur Versteigerung angeboten wurde. Zumindest vor diesem Zeitpunkt waren also beide Gemälde in einer Hand und möglicherweise war es Lemoyne selbst, der sie als Pendants betrachtete, in seiner Sammlung als solche hängte und den Anstoß zur Reproduktion durch Marie Madeleine Igonet gab, welche die Blätter dann auch vertrieb.
Der nächste Besitzer war Lemoynes Sohn Pierre-Hippolyte, dessen Sammlung 1828 zur Versteigerung gelangte. Wurde das Gemälde im Katalog von 1778 noch neutral als „un Sculpteur dans son atelier, assis devant le buste du Roi Louis XV: près de lui est un jeune homme qui repasse un ciseau“ beschrieben, so gibt der Eintrag im Katalog von 1828 an, daß es sich bei dem dargestellten Bildhauer um Jean-Baptiste Lemoyne selbst handeln soll und der später ebenfalls berühmte Bildhauer Augustin Pajou (1730-1809) sich in dem einen Meißel schleifenden Jungen porträtiert findet. Diese Zuweisungen sind jedoch sehr zu bezweifeln, zudem von Lemoyne keine Büste König Ludwigs XV. (1710-1774) bekannt ist, die sich mit der im Bild dargestellten in Verbindung bringen ließe.
So muß das Gemälde Pierres als lebensvolle Darstellung eines im schöpferischen Moment innehaltenden Bildhauers betrachtet werden, der zum Ruhm des Herrschers dessen Büste aus einem Marmorblock skulptiert, umgeben von Modellen bzw. Abgüssen, die auf die Antike verweisen. In die Wirklichkeit des Künstleralltags gebrochen wird die Szenerie durch die Unordnung des Ateliers und den Knaben, der völlig unbeeindruckt von der „Anwesenheit“ des Königs und dem schöpferischen Prozeß lediglich darauf konzentriert ist, den Meißel durch Schleifen wieder nutzbar zu machen.
In Haids Mezzotinto-Reproduktion ebenso wie in Igonets Stich wird die genrehafte Atelierdarstellung qua Bildunterschrift jedoch zu einer allgemeingültigen, allegoriehaften Darstellung der „La Sculpture“ bzw. „Bildhauer Kunst“ erhöht, wobei Haid diese Tendenz durch die Ausblendung des diesseitigen „Chaos“ der Arbeitsumstände noch betont und lediglich durch den in die Reproduktion übernommenen, meißelschleifenden Knaben ein erdendes Genreelement beibehält.
Rudolf Rieger