Neuerwerbungen

Jagdlappen

17.06.2015 09:00

Jagdlappen aus der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt

 
Jagdlappen aus der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt
Unbekannt (Deutschland, 1737)
Jagdlappen mit der Darstellung eines Türken mit Turban (recto)
und dem Löwen aus dem Wappen der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt (verso)
graubeigefarbenes Sackleinen, beidseitig mit Holzschnitten in Schwarz (recto)
bzw. Rot (verso) bedruckt
75,0 x 42,5 cm (Lappen max.)
Inv.-Nr. 2015.008

 

 

Jagdlappen, in zeitgenössischen Quellen auch als „Tücher-Lappen“ bezeichnet (Zedler, Grosses vollständiges Universal Lexikon aller Wissenschaften und Künste, Bd. XIV, 1739, S. 166), kamen vor allem im 17. und 18. Jh. bei höfischen Festjagden zum Einsatz.

 

Das jüngst erworbene Exemplar aus der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt zeigt auf der Vorderseite einen Türkenkopf, der den zeitgenössischen Vorstellungen entsprechend mit schwarzer Gesichtsfarbe, Turban und Federbusch dargestellt ist. Die Rückseite trägt die Initalen E • L • L • Z • H (Ernst Ludwig Landgraf zu Hessen) oberhalb des aufsteigenden hessischen Wappenlöwen. Die beidseitig aufgedruckte Jahreszahl i • 7 • 3 • 7 weist vermutlich auf eine Hofjagd hin, die der für seine Jagdleidenschaft bekannte Ernst Ludwig (1667-1739, Landgraf 1678-1739), im genannten Jahr veranstalten ließ. Die Zuordnung von recto und verso erfolgte bei diesem Exemplar anhand der Webstruktur des Leinens, die sich auf einer Seite feiner und regelmäßiger als auf der anderen Seite gestaltet, sowie durch die jeweils nach hinten saumartig umgenähten Stoffkanten an der oberen und unteren Seite. Die Darstellungen sind vermutlich mit geschnittenen Modeln aus Holz im Handdruckverfahren auf das Leinen gestempelt worden.

 

 

tl_files/letter_stiftung/neuerwerbungen/Jagdlappen_7.jpg          
tl_files/letter_stiftung/neuerwerbungen/Jagdlappen_6.jpg

"Ein kleines bestättigt Ausschiessen", Kupferstich, ohne Maßangaben, aus: Fleming, Hans Friedrich: Der Vollkommene Teutsche Jäger, 2 Bde., Leipzig 1719/1724, Bd. 1, Taf. XXX S. 258, Marburg, Universitätsbibliothek, Inv.-Nr. XII A 16 (Folio)

 

Verschiedene Formen von Jagdlappen und -tüchern zur Kennzeichnung des Jagdgebietes, Kupferstich, ohne Maßangaben, aus: Döbel, Wilhelm Heinrich: Vollkommene Jaeger-Practica, Leipzig 1746, Taf. nach S. 18, Marburg, Universitätsbibliothek, Inv.-Nr. XII A 18 (Folio)

 

 

Die Hofjagden der damaligen Zeit bedurften eines kaum zu unterschätzenden Aufwands, der vor allem im mühseligen Zusammentreiben des Wildes aus entfernt gelegenen Jagdgebieten bestand. Hierbei kam den an langen Seilen aneinandergereihten oder an Stellstangen aufgehängten Jagdlappen eine zweifache Bedeutung zu: Zum einen konnte der Landesfürst mit der Anbringung seines Wappens die Abgrenzung seines Jagdgebietes vornehmen und seinen fürstlichen Anspruch auf das zu jagende Wild zum Ausdruck bringen. Zum anderen gaben die zwischen den Bäumen aufgespannten Jagdlappen die gewünschte Treibrichtung des Wildes in Gassen vor. Zu diesem Zweck wurde die dem Wild zugewandte Seite des Jagdlappens für gewöhnlich mit einem abschreckenden Motiv gestaltet. Der Türkenkopf wurde dabei in Erinnerung an die Gefahr der Türkenkriege des 17. Jahrhunderts als besonders furchteinflößend angesehen. Das Jagdwild sollte beim Anblick dieser Darstellung vor Schreck zurückweichen, vom Unter- bzw. Durchschreiten der Lappen abgehalten und bei der Treibjagd in ein mit Tuchwänden und Netzen eingegrenztes Areal gelenkt werden, wo es dann abschließend von der Jagdgesellschaft aus einem sicheren Schießstand heraus erlegt werden konnte.

 

Für diese Form des sogenannten „eingestellten Jagens“ (auch: „Lappjagd“, „eingerichtetes Jagen“ oder „Deutsches Jagen“) wurde ein dafür vorgesehenes Gebiet systematisch mit einer großen Stückzahl an Jagdlappen ausgestattet: „Man richtet diese Lappen möglichst frei, damit sie schon von weitem vom Wild gewahrt werden, auf den Linien, über die es nicht fortfliehen soll, indem man die Leine um dort stehende Bäume schlingt oder sie auf 15 Schritt entfernte, in die Erde geschlagene Stellstangen hängt. Für Rotwild werden sie 1,5 m, für Rehe 1 m, für Hasen und Füchse 0,5 m hoch angebracht. Sicherer erreicht man bei Hochwild den beabsichtigten Zweck durch Dublieren, d. h. Aufhängen zweier Lappenleinen übereinander, so daß die untere etwa 0,75 m vom Boden entfernt ist.“ (Meyer, Großes Konversations-Lexikon, Bd. 10, 1909, S. 142)

 

Konnte das Wild doch einmal durch die Lappen entkommen, war es dem Jäger sprichwörtlich "durch die Lappen gegangen".

 

Vergleichbare Exemplare von Jagdlappen finden sich z.B. in den Sammlungen des Museum Schloß Rheydt, Mönchengladbach, sowie im Deutschen Historischen Museum, Berlin.

 

Verena Schraub

Zurück