Neuerwerbungen

Otto Pankok "Zehn Landschaften"

01.06.2020 09:00

Otto Pankok "Zehn Landschaften"

 

Otto Pankok (Mühlheim a.d.R. 1893 - 1966 Wesel)

Zehn Landschaften

 

1919 (Platten) / 1921 (wohl Erscheinungsjahr Mappe)
Mappe mit zehn Radierungen auf Maschinenvelin und einem Holzschnitt auf dem Vorderdeckel, Düsseldorf, Julius Baedecker, 1921 (?)
41,4 x 32,0 cm (Mappe) / 39,2 x 32,2 cm (Blätter max.)
Inv.-Nr. 2018.16

 

 

Die wohl 1921 im Verlag von Julius Baedecker in Düsseldorf publizierte Mappe „Zehn Landschaften“ vereint zehn Kaltnadelradierungen, deren Platten bereits 1919 entstanden waren. Die unterschiedlichen Plattengrößen und Motive, bei denen es sich nicht in allen Fällen um reine Landschaftsdarstellungen handelt, legen nahe, daß Pankok die Radierungen nicht von vornherein mit dem Ziel eines Mappenwerkes angefertigt hat, sondern der Plan hierzu erst nachträglich und möglicherweise auf Betreiben des Verlegers entstand. Mit der sehr kleinen Auflage von nur 25 Exemplaren zählen die Platten dennoch zu jenen mit einer hohen Anzahl an Abzügen, da Pankok üblicherweise nur zwischen einem und vier Abzügen von seinen Radierungen druckte.

 

Beigegeben sind dem Mappenwerk ein Gedicht von Dési (Désirée) Stinnes, geb. Scholz (1886–1936) und ein Einleitungstext von Otto Markan (1901–1923), die beide Pankoks visionäre Gestaltungskraft als Graphiker hervorheben.

 

Das vorliegende, außerhalb der offiziellen Auflage gedruckte Exemplar stammt aus dem Besitz des mit Pankok befreundeten Dresdner Künstlers Conrad Felixmüller (1897–1977), dem dieser es bereits im Dezember 1920 widmete, und trägt den Sammlungsstempel und die handschriftliche Inventarnummer 143 des Beschenkten. Daraus folgt, daß die Mappe bereits Ende 1920 mit dem erst aus Anlaß der Mappenedition geschnittenen Titelschild publikationsfertig vorlag und das in der Literatur ebenfalls kursierende Erscheinungsjahr 1924 unzutreffend ist.

 

Pankok begann sich ab 1910 intensiv mit dem Medium des Tiefdrucks zu beschäftigen und bevorzugte von Anfang an die Technik der Kaltnadel, mit der er unmittelbar auf die von ihm besonders gerne benutzten Zinkplatten „zeichnen“ konnte. Neben der Möglichkeit, spontan seine Ideen und Eindrücke – oft „d’apès nature“ – festhalten zu können, faszinierte ihn auch das kreative Potential, welches der Handdruck der oft in kurzer Zeit hergestellten Platten bot. Pankok besaß schon früh eine kleine Handpresse, mit der er selbst druckte und dabei jeden Abzug durch die Art der Einfärbung und des Auswischens der überschüssigen Druckfarbe nahezu unikal gestaltete.

 

Für Pankok stand dabei nicht der Druck einer kommerziell verwertbaren Auflage im Vordergrund, was die bereits genannten sehr niedrigen Abzugzahlen belegen, sondern die Möglichkeit, sich mit dem Material und dessen Gegebenheiten auseinander zu setzen und es den eigenen künstlerischen Intentionen nutzbar zu machen. Pankok benutze fast ausschließlich billige Zinkplatten, wie sie etwa von Dachdeckern verwendet wurden und deren Oberflächenunregelmäßigkeiten er bewußt nicht glättete, um sie beim Radieren und Drucken als Zufallsfaktor einfließen zu lassen. Ab 1919 – dem Jahr also, in dem die Radierungen zur Mappe entstanden – benutzte Pankok häufig unregelmäßig zugeschnittene Platten mit Kurven und Ausbuchtungen, wie dies schön bei Blatt 3 und 4 zu sehen ist.

 

 

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Blatt 3 Abend

       

 

Blatt 4 Bremerhaven

 

Diese unterstreichen ebenso wie die Zufälligkeiten des materialen Oberflächenbefundes und des Farbeinsatzes Pankoks Bedürnis nach einer unmittelbar erlebbaren Ausdruckssteigerung, die auch in seinem überaus kraftvollen, teils „brutalen“ Zeichenstil manifest wird, der kennzeichnend für sein hochexpressives Frühwerk ist.

 

Bis zu seinem Tod radierte Pankok so fast 800 Tiefdrucke und zehrte dabei von dem großen Bestand an Zinkplatten, den seine Frau Hulda einer vor dem Bankrott stehenden Badewannenfabrik abgekauft und ihrem Mann zur Hochzeit 1921 geschenkt hatte.

 

Neben den Materialgegebenheiten faszinierten Pankok auch die gestalterischen Möglichkeiten, die sich durch die Druckfarbe in und auf der Platte erzielen ließen und die er oft malerisch zur Erzeugung von Atmosphäre oder eines tonalen Fonds einsetzte. Ein schönes Beispiel hierfür ist ebenfalls Blatt 4, das sehr dunkel gehalten ist und damit die nächtliche Stimmung der nur durch den Mond erleuchteten Stadtlandschaft unterstreicht.

 

Standen in den ersten Jahren von Pankoks graphischer Tätigkeit Porträts und Personendarstellungen im Vordergrund, so wandte er sich seit 1917 verstärkt der Landschaft zu, die als Stimmungs- und Bedeutungsträger genutzt wird und sowohl als Natur- wie auch als Stadtlandschaft in Erscheinung tritt.

 

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Blatt 6 Hier liegt er




 

In der Mappe tritt das Thema Landschaft demnach in vielen Spielarten in Erscheinung, angefangen von deren agrarischer Nutzung (Blatt 1 und 2: „Kartoffelsäcke“ bzw. „Kartoffelacker“), als Kulisse für menschliche Nähe und Ferne (Blatt 3 und 4: „Abend“ bzw. „Bremerhaven“), als Resonanzraum für Naturgewalten (Blatt 5 und 8: „Sonne“ bzw. „Blitz“), als Wohn- und Siedlungsraum (Blatt 7, 9 und 10: „Neubau“, „Kanal“, „Durchblick“) und nicht zuletzt – und mit humorvollem Unterton – als Ort der letzten Ruhe und Vorgriff auf das eigene Memento (Blatt 6: „Hier liegt er“).

 

Rudolf Rieger

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