28.04.2023 09:00
Abb. 1
In unserer Reihe unbekannter Werke von heute kaum bis gar nicht mehr bekannten Kunstschaffenden richtet sich der Blick erneut auf eine Künstlerin, deren Tätigkeit bislang nur punktuell und ausschließlich in den 1920er Jahren nachgewiesen ist.
Laut den Akten des Archivs der damaligen Kunstgewerbeschule am Österreichischen Museum für Kunst und Industrie – heute die Universität für angewandte Kunst – in Wien war sie dort von 1922 bis 1923 und nochmals 1924 als Gasthörerin eingeschrieben. Unterwiesen wurde sie durch Franz Čižek im Fach Ornament, durch Karl Witzmann in Formenlehre, durch Rudolf Larisch in Ornamentaler Schrift und Heraldik sowie durch Adolf Boehm im Zeichnen und Formen nach der menschlichen Figur. Zuvor hatte Ripka die Wiener Graphische Lehr- und Versuchsanstalt besucht, die sich auf die Vermittlung graphischer Techniken konzentrierte.
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Abb. 2 Inhaltsverzeichnis zur Mappe
Tinte mit Feder
51,9 x 36,5 cm (Schriftspiegel)
66,3 x 50,2 cm (Blatt)
Inv.-Nr. 2020.126.10
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Es liegt nahe, daß die hier vorgestellte Mappe im Rahmen ihrer Ausbildung oder nicht viel später entstand. Ihre Vornamen – laut Vorbesitz Emmy Elisabeth, laut Meldebogen der Kunstgewerbeschule Emilie – verbarg sie dabei unter Umständen absichtlich hinter Initialen. Von Geschlechtsgenossinnen ihrer Generation ist bekannt, daß diese ihre weibliche Identität so oder durch ein Pseudonym verhüllten, um im Ausstellungsbetrieb und auf dem Kunstmarkt auf Augenhöhe mit den Kollegen wahrgenommen zu werden. Sollte Ripka dies tatsächlich beabsichtigt haben: Es ist ihr ganz offensichtlich nicht gelungen, denn in zeitgenössischen Katalogen erscheint ihr Name nicht. Auch in den einschlägigen Nachschlagewerken und Datenbanken ist die Künstlerin, die beim Eintritt in die Kunstgewerbeschule als Berufsziel Maler u. Entwurfszeichner angab, praktisch nicht dokumentiert.
Angesichts des Anspruchs, den ihre hier vorgestellte Mappe nicht nur durch das Format, sondern auch künstlerisch demonstriert, ist das beklagenswert – doch für die Zeit alles andere als ungewöhnlich. Befeuert durch die Nachfrage nach kostbar gestalteten Büchern und graphischen Mappenwerken gerade nach Ende des Ersten Weltkrieges ist die Zahl der bibliophilen Neuerscheinungen schier unüberschaubar. Bei einem beträchtlichen Teil dieser Projekte blieb es bei Plänen, deren Realisierung meist aus finanziellen Gründen mißlang. Auch Ripkas „Holzschnitte“ (dem Augenschein nach eher Drucke von leichter zu handhabenden Linolplatten) gelangten offenbar nicht zur Veröffentlichung: Das Werk trägt keine Angaben zur Auflage, weitere Exemplare wurden nicht nachgewiesen. Vier der Drucke sind von Hand mit schwarzer Farbe bzw. Deckweiß korrigierend überarbeitet (Abb. 4). Das Bezugspapier (Abb. 1), dessen kühnes Zickzackmuster entfernt an das Logo der „Wiener Werkstätte“ erinnert, ist nicht gedruckt, sondern von Hand gearbeitet, ebenso das Inhaltsverzeichnis in runenhaft gebrochenem Duktus (Abb. 2). Es handelt sich demnach möglicherweise um den bei einem potentiellen Verlag vorgelegten Mappenentwurf, der über dieses Stadium nicht hinausgekommen ist. Dafür spricht auch, daß offenbar der Überschuß dieses Bezugspapiers zur späteren Kaschierung eines Robinson-Crusoe-Bandes aus dem Jahr 1870 (Paris, Firmin Didot) genutzt wurde (Angebot Antiquariat Burgverlag, Wien, April 2023).
Abb. 3 Erwachen
Blatt 1 von 7 zu „Holzschnitte“
30,4 x 19,8 cm (Platte oder
Stock)
35,1 x 23,0 cm (Blatt)
Inv.-Nr. 2020.126.1
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Abb. 4
Dirne (Ausschnitt)
partiell überarbeitet mit schwarzer Deckfarbe und Deckweiß
(u.a. am Fang der Katze)
Blatt 4 von 7 zu „Holzschnitte“
30,4 x 20,2 cm
(Platte oder Stock)
36,4 x 24,0 cm (Blatt)
Inv.-Nr. 2020.126.4
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Nur zwei weitere Werke Ripkas sind dokumentiert: Das in lebhaften Rot- und Grüntönen gehaltene Mädchenbildnis „Soferl“ ist 1924 entstanden und E.R. monogrammiert.[1] Offenbar dasselbe Kind zeigt ein Aquarell aus dem Februar 1924 in ähnlich verspielter Farbgebung, das Ripka ihrem lieben Freund – so die Übersetzung der französischen Aufschrift – Robert Philippi (Graz 1877 – 1959 Wien) im November 1927 widmete.[2] Der heute ebenfalls weitgehend vergessene Graphiker war Assistent von Ripkas Lehrer Čižek an der Kunstgewerbeschule. Künstlerisch verbindet Ripka und Philippi die Arbeit im Linol- oder Holzschnitt. Für beide sind – wie für die 10er und 20er Jahre des 20. Jahrhunderts generell – kraftvolle, schlanke Aktdarstellungen als Chiffren für abstrakte, emotionsgeladene Themen charakteristisch: Mutterschaft, Paarbeziehungen, Seelenzustände. Obschon vom Expressionismus nicht unberührt, ist die Wirkung ihrer Kompositionen noch merklich vom Jugendstil geprägt und insofern eher rhythmisch-ornamental als dynamisch bewegt.
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Abb. 5
Mutter
Blatt 2 von 7 zu „Holzschnitte“
30,0
x 19,6 cm (Platte oder Stock)
33,4 x 20,7 cm (Blatt)
Inv.-Nr. 2020.126.2
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Technische Versiertheit und eine Motivwahl auf Höhe der Zeit zeugen von einer gut ausgebildeten, selbstbewußt auftretenden Künstlerin. Womöglich setzte sie ihre Laufbahn infolge einer Heirat unter neuem Namen fort. Oder – und das ist wohl wahrscheinlicher – mangelnde Anerkennung und wirtschaftliche Zwänge, sprich: Die Zeitläufte verhinderten, daß Emmy Ripka ihre Karriere so weiterverfolgen konnte, wie sie es sich im Wien des frühen 20. Jahrhunderts erträumt und erarbeitet hatte.
In jedem Fall freuen wir uns über Hinweise, die uns der Wiederentdeckung des bislang nur schlaglichtartig aufscheinenden Schaffens von Emmy Elisabeth Ripka näherbringen.
Petra Aescht
[1] Öl auf Leinwand, 48,0 x 32,0 cm; Salzburg, Dorotheum, 16.10.2003, Lot 818.
[2] Sammlung Chrastek – Hagenbund; Verk.-Kat. Wien, Kunsthandel Widder 2019 (o.n.A.); Weitra 2019, S. 162, Kat.-Nr. 463, Abb. S. 163: 35,7 x 48,4cm, irrig als Werk Robert Philippis.
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