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August Hoff-Stipendium für kunsthistorische Forschung

11.06.2018 09:00

August Hoff-Stipendium für kunsthistorische Forschung

 

 

 

 

Jakob Luckschewitz

 Zwischen Originalgraphik und Reproduktionsgraphik
Zur Diskussion über das künstlerische Potential druckgraphischer Techniken in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und um 1900 – unter besonderer Berücksichtigung der Radierung

Dissertation bei Prof. Dr. Christoph Jobst 
Kiel, Christian-Albrechts-Universität

 

Vor der Erfindung der Photographie waren graphische Techniken wie der Kupferstich, die Radierung, die Lithographie oder der Holzschnitt die effizientesten Mittel, ein Kunstwerk, welches nur von Wenigen rezipiert werden konnte, einem breiteren gesellschaftlichen Kreis bekannt zu machen. Bereits in der frühen Neuzeit profitierten von dieser Vervielfältigungstechnik Künstler wie Raffael oder Rubens, deren Bilderfindungen dadurch eine erhöhte Verbreitung erfuhren.


Allerdings begannen die Vertreter der manuellen Reproduktion ihre Monopolstellung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einzubüßen, ehe die Photographie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgrund ihrer ökonomischen und visuellen Vorteile zum bevorzugten Mittel der Vervielfältigung von Kunstwerken avancierte.


Das von LETTER Stiftung mittels der Vergabe des August Hoff-Stipendiums für kunsthistorische Forschung geförderte Dissertationsprojekt "Zwischen Originalgraphik und Reproduktionsgraphik" (verkürzter Arbeitstitel) setzt an diesem historischen Punkt der traditionellen Kunstreproduktion im deutschsprachigen Raum an. Ziel ist, sowohl ihre Bedeutung, die sie im Zuge ihrer Konkurrenz zur Photographie innehatte, als auch ihre Neubewertung durch unterschiedlichste Akteure der Kunstszene darzustellen. Damit zusammenhängend sollen die Strategien der Künstler, auf das Potenzial der photographischen Verfahren zu reagieren, um die eigene Tätigkeit entgegen des sich durchsetzenden Vorwurfs des Anachronismus zu legitimieren, benannt werden. Hierbei gilt das Augenmerk vornehmlich der Frage nach dem künstlerischen Wert der Reproduktionsgraphik, d.h. ihrem Originalcharakter, und dem künstlerischen Selbstverständnis ihrer Vertreter.


Der künstlerische Wert der Reproduktionsgraphik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist als Forschungsgegenstand deshalb von besonderem Interesse, weil die Graphiker durch unterschiedlichste Entwicklungen in Technik, Kunst und Geistesgeschichte zu einer steten Abkehr von Traditionen und einer intensiven Selbstbefragung und Neudefinition der eigenen Tätigkeit gezwungen waren. Nicht allein die durch die steigende Lust an „objektiven“ Bildern getragene Etablierung der Photographie im Publikationswesen hat auf die Vertreter und Verfechter der traditionellen Reproduktionstechniken gewirkt. Auch der Hinwendung der Maler zu einem lockeren, skizzenartigen Pinselduktus sowie die Begeisterung für solche alten Meister wie Rembrandt oder Frans Hals, die als Vorbilder für diese moderne Art der Malerei fungierten und deren Werke über Vervielfältigungen in die Gesellschaft getragen werden sollten, mussten die reproduzierenden Graphiker Rechnung tragen. Eng mit der Durchsetzung dieser „malerischen“ Malerei ist wiederum das erstarkende Ideal der Kunst als Ausdruck einer subjektiven Künstlerpersönlichkeit verbunden, welches ebenfalls auf die Tätigkeit der Reproduktionsgraphiker projiziert und zum Wertmaßstab ihrer Werke erhoben wurde.


Im Vordergrund des Forschungsinteresses steht die Technik der Radierung, da sich die genannten Faktoren unter anderem in der Hinwendung zahlreicher Kupferstecher zu dieser Technik, die als prädestiniert für die Wiedergabe „malerischer“ Kunstwerke sowie für den Ausdruck der eigenen Künstlerpersönlichkeit galt, wiederspiegeln. Im deutschen Sprachraum ging hier der in Hannover geborene und hauptsächlich in Wien tätige William Unger voran. Dieser hat sowohl Werke alter wie auch neuer Meister, wie beispielsweise das Gemälde "Auf dem Heimweg" Fritz von Uhdes, in einer frei und skizzenhaft gehaltenen und auf ihre Hell-Dunkel-Wirkung angelegten Radierung reproduziert (LETTER Stiftung, Inv.-Nr. 312.1986.49). Aufgrund seiner herausragenden Bedeutung nimmer er eine wichtige Position in der Untersuchung ein.


Neben Unger finden solche reproduzierenden Künstler Beachtung, die sich durch die Qualität und Selbstständigkeit ihrer künstlerischen „Übersetzungen“, ihr umfangreiches und vielseitiges Schaffen sowie ihre Popularität im Kunstpublikations-, Ausstellungs- und Kunstvereinswesen aus der breiten Masse der Kupferstecher und Radierer hervorgetan haben. Zu nennen wären Radierer wie Karl Koepping, Albert Krüger und Peter Halm, die heute weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Prominenten Zuwachs erhält das Ensemble der Reproduktionsgraphiker des späten 19. Jahrhunderts durch Künstler wie Max Klinger und Emil Orlik, die sich vereinzelt ebenfalls der Übertragung von Gemälden mit den Mitteln der Graphik gewidmet haben.


Reflektiert wird, inwieweit die unterschiedlichen künstlerischen und technischen Entwicklungen auf die Tätigkeit der Reproduktionsgraphiker gewirkt und gleichzeitig die Diskussion über das Potenzial der druckgraphischen Techniken für die Reproduktion von Kunstwerken einerseits sowie deren ästhetischen Wert andererseits geprägt haben.

 

Jakob Luckschewitz

 

Abb.
William Unger nach Fritz von Uhde
Auf dem Heimweg
(aus der Mappe "Moderne Künstler.
Mappe mit 50 Radierungen der
Gesellschaft für vervielfältigende Kunst Wien",
Blatt 49)
Inv.-Nr. 312.1986.49

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