Neuerwerbungen

Unbekannt: Allegorie der Melancholie

21.05.2012 09:00

"Allegorie der Melancholie" (Niederlande, Anfang 17. Jh.)

Unbekannt (Niederlande, Anfang 17. Jh.)

nach einem Kupferstich Raphael Sadelers

nach einer Zeichnung von Maarten de Vos

Allegorie der Melancholie

Elfenbein

10,5 x 8,0 x ca. 0,7 cm

Inv.-Nr. 2012.109

 

Graphische Vorbilder wurden zunehmend seit dem 16. Jahrhundert in Bildhauerei übersetzt, umgekehrt diente die Druckgraphik der Skulptur und Plastik als Reproduktionsmedium. Die unlängst erworbene Elfenbeintafel ist ein reizvolles Beispiel für den bildkünstlerischen Transfer einer solchen zweidimensionalen Vorlage in die (limitierte) Dreidimensionalität des Reliefs. Hierbei sah sich der Schnitzer durch die maßlichen Beschränkungen, die sein Material in Gestalt des schlanken Elefantenzahnes vorgab, vor zusätzliche Herausforderungen gestellt.

 

So übersetzte er die Komposition des auf 1583 oder kurz danach datierbaren Stiches von Sadeler, der einer Darstellungsfolge der vier Temperamente entstammt, vom Quer- ins Hochformat. Hierzu modifizierte er die innerbildlichen Bezüge sowie die anatomische Wiedergabe der Figuren, er reduzierte die Vielzahl der Bildmotive und konzentrierte die verbleibenden in der Nähe des Paares; den Landschaftsgrund gestaltete er recht freizügig um.

 

Die Straffung der Komposition tritt am augenfälligsten bei der Wiedergabe des Paares zutage: Die Frau sitzt nun direkt oberhalb des Mannes, der in etwas ungelenker Torsion wiedergegeben ist, und scheint auf diesen herabzublicken. Beide zeigen die jeweils unterschiedlichen Auswirkungen der Melancholie auf das menschliche Gemüt. Ist im Falle des Mannes das knapp bemessene Bildformat der Elfenbeintafel für dessen Proportionierung eher von Nachteil, so gewinnt die im weiten Bildraum der Graphik sich „verlaufende“ Szenerie durch die Komprimierung ins Hochformat an Aussagekraft und nicht allein infolge ihrer skulptierten Ausarbeitung an Plastizität. Die drei Tierkreiszeichen Stier, Jungfrau und Steinbock, der Melancholie zugeordnet, sind der zentralen Darstellung des Menschenpaares nun geradezu emblematisch beigeschrieben und betonen somit nebst den vanitas-Motiven zerbrochener Gerätschaften und entleerter Gefäße die allegorische Aussage.

 

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Raphael Sadeler (Stich)

Maarten de Vos (Entwurf)

Melancholicus

um 1583

Kupferstich

ca. 19,3 x 24,6 cm

Miryam Stillings

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