01.04.2025 09:00
Daß Alkoholgenuß ab einer gewissen Menge dem Gehirn schadet, ist inzwischen Konsens. Die Leporello-Bildfolge „Naturgeschichte des Trinkens“ begegnet diesem unerfreulichen Phänomen durch die darin enthaltenen intellektuellen Trainingsmöglichkeiten; denn gleichermaßen bekannt sind die heilsamen Wirkungen von Gehirnakrobatik. In diesem Sinne laden wir Sie ein, unseren Denkansätzen zu folgen – und vielleicht sogar den bislang ungelösten Schluß-Rebus zu knacken.
Die Kombination der Worte für ein (entgegen der Lesrichtung laufendes) Wellenband, einem an den antiken Chronos erinnernden Greis mit Sanduhr und Sense sowie einem riesigen Hammer und einem Stein, der seiner Bearbeitung harrt – was für einen Begriff mag das ergeben? Die (in den Stein gehauene?) Inschrift am Schluß nennt womöglich einen Ort, an dem ein Augusteum existiert (Leipzig, wo ein Universitätsgebäude dieses Namens steht?) sowie zwei weitere lateinische Worte, die auch in freier Übersetzung keinen rechten Sinn ergeben.
Ursprünglich befand sich das Leporello in einem Umschlag mit einem Gegenstück, das im Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden bewahrt wird. Die lithographisch bedruckte Umschlagvorderseite verrät den Anlaß, zu dem das Werk entstand und an die Teilnehmer ausgegeben wurde: die Generalversammlung des „Verbandes deutscher Architecten & Ingenieur-Vereine“ in den Kellern der Waldschlößchen-Brauerei zu Dresden am 2. September 1878. Ausführender Künstler war Moritz Rödig (Dresden 1844-1918 Dresden), gedruckt und verlegt wurde das Heftchen bei C.C. Meinhold & Söhne ebendort.
Moritz Rödig: Umschlagvorderseite zu „Die Silhouetten in den Kellern der Dresdner Waldschlösschen-Brauerei (…)“, 1878, Lithographie © Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Photo: Daphneprojekt
Der in unserer Sammlung fehlende 1. Teil ist am Vorderdeckel befestigt und bezieht sich – wie die Darstellung des festlich geschmückten Braukellers auf der Umschlagvorderseite – auf das Verbandstreffen bzw. die im Verband organisierten Berufsgruppen. In Lesrichtung werden verschiedene Aspekte der Architekten-Ausbildung sowie einzelne Sparten des Bauwesens karikiert und mit erklärenden Bildunterschriften versehen. Es folgen Darstellungen zu den anläßlich der Feierlichkeiten aufgefahrenen Genüssen (u.a. ein von zwei Ziegenböcken gezogenes Faß der gastgebenden Brauerei), welche die Überleitung zum wohl öffentlich abgehaltenen Festumzug mit Musikkapelle und anderem Trara bilden. Angeführt wird dieser durch einen Fahnenträger mit Dresdner Wappen, gefolgt von einem Vertreter der Stadt (?), der einen Geldsack mit laut Aufschrift 3.000 Mark trägt. Diese Szene bildet das Ende des Frieses. Bei geöffnetem Umschlag stieß sie an den Beginn des in Köln bewahrten Teiles:
Ein Kater (?) zeigt einleitend auf eine Art Schild. Darauf notiert ist Paragraph 11: Er steht in den Bier-Comments studentischer Verbindungen und verlangt „Es wird weitergesoffen!“, lateinisch „porro bibitur!“ – meint also exzessiven Alkoholkonsum. Die personalisierten Zeichen zu diesem Gebot tanzen schon auf dem Vorderdeckel. Der 2. Fries bildet demnach eine Aufforderung für den Verlauf des Festes nach dem offiziellen Teil und ist zugleich eine Referenz auf die gastgebende Brauerei.
Es folgt eine für die Kulturgeschichte des Westens zentrale Trink-Szene: die Romulus und Remus säugende Kapitolinische Wölfin, deren Blick zum nächsten Abschnitt führt. Der als dessen Bildunterschrift verballhornte Spruch bezieht sich als Titel eines 1853 in der beliebten Zeitschrift „Die Gartenlaube“ publizierten Textes auf die Heilkraft des Wassers: Unter der Losung „Wasser thut‘s freilich“ werden unter anderem die schädlichen Folgen des Alkohols thematisiert. Hier konterkariert das entsprechende Bildmotiv die landläufige Vorstellung, daß Wasser dem Alkohol aus gesundheitlichen Gründen vorzuziehen sei: Ein Paar, das von dem aus einem anthropomorphen Felsen entsprungenen und demnach reinen Quellwasser getrunken hat, plagt daraufhin offenbar schlimmes Leibweh.
Einen Ausweg aus diesem beklagenswert abstinenten Zustand bieten die „En(t)deckung der Gerste“ durch einen greisen Entomologen – der Alte aus dem Bilderrätsel? – und die Einflüsterungen zur Zubereitung durch einen Ziegenbock (Pan oder eine andere Gottheit?). Es folgen das Dreschen, das Brauen und die Verkostung. Der geglückte Kesselinhalt wird Menschen jeden Alters verabreicht, die durch Baströckchen und Nasenring als Angehörige von Ur- bzw. Naturvölkern gekennzeichnet sind.
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„Die Wirkungen“ zeigt der Alkohol nach einem Epochen- bzw. Zivilisationssprung bei den Gäste des fidelen Verbandstreffens: Die offensichtlich betrunkenen Männer – unter Ihnen ein dienstvergessener Nachtwächter – tragen ansonsten Frack und Zylinder, auch eine Dame in langem Kleid ist dabei. Der sie stützende Herr ist ausweislich seiner Kopfbedeckung wohl der Herr Oberingenieur aus der ersten Szene des oben beschriebenen 1. Teils, seine Partnerin die dort charmierte Bauline (Dresdner Idiom für „Pauline“). |
Moritz Rödig: „Der Herr Oberingenieur boussiert de Bauline“, Szene 1 von Teil 1 der „Silhouetten in den Kellern der Dresdner Waldschlösschen-Brauerei (…)“, 1878, Lithographie © Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Daphneprojekt
„Die Wirkungen“ zeigt der Alkohol nach einem Epochen- bzw. Zivilisationssprung bei den Gäste des fidelen Verbandstreffens: Die offensichtlich betrunkenen Männer – unter Ihnen ein dienstvergessener Nachtwächter – tragen ansonsten Frack und Zylinder, auch eine Dame in langem Kleid ist dabei. Der sie stützende Herr ist ausweislich seiner Kopfbedeckung wohl der Herr Oberingenieur aus der ersten Szene des oben beschriebenen 1. Teils, seine Partnerin die dort charmierte Bauline (Dresdner Idiom für „Pauline“).
„Die Folgen“ der ausschweifenden Festlichkeiten sind ein dicker – der die Bildfolge einleitende? – Kater, der auf den nächsten Bildern hockt, anstatt jene Teufelchen zu (ver)jagen, die den Brummschädel des Trinkers malträtieren; dem hilft derweil auch starker Mokka wenig. Zur Bekämpfung der Malaise wird ein Fisch – der bewährte „grüne Hering“? – erlegt bzw. zum Verzehr empfohlen.
Der Trinker reist in der Kutsche zur „Reconvalescence“, wohl in die (Trink-)Kur, wo er allein „das Wasser nehmen“ wird, das bitter-saure einer Heilquelle nämlich. Welche Folgen das für seinen Magen haben wird, kann man sich vorstellen. Die Klanggleichheit „Diligence“ als in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts eingesetztes schnelles Transportmittel der Eilpost ist wohl beabsichtigt, kein Aufschub wird gewährt. |
Jedenfalls findet wieder eine Zeitreise bzw. ein Kulturwechsel statt: „Die Nubier“ spielen in diesem Zusammenhang womöglich auf die sogenannten „schwarzen“, die nicht farbentragenden und oft auch nichtschlagenden Verbindungen an; diese kamen seit den 1850er Jahren in Deutschland auf. Zugleich brauten die Nubier aus Hirse Bier; allerdings enthält die Szene keine Anspielungen auf’s Trinken, vielmehr spielen exotische Tiere eine Rolle. Kaum wußte man damals schon um den Antibiotikagehalt des aus fermentiertem Getreidebrei gebrauten Bieres. Vielleicht geht es aber auch ganz profan um das vielbeschworene Konterbier. Oder schlicht um die Assonanz von Nubier und dem Wahlspruch „nur Bier“.
Der nach oben aufklappbare Teil für die überlangen Giraffenhälse, deren Gestalt an umgedrehte Flugdrachen erinnert, findet übrigens seine Entsprechung im 1. Teil,wo dem hochaufgeschossenen Vertreter des Hochbaus gleichermaßen Raum gegeben wird. Gefolgt wird dieservon den neidisch aufblickenden Maulwürfen des Eisenbahn- (warum eigentlich nicht Tief- bz. Tunnel-?) Baus.
Moritz Rödig: „Hochbau“,
Detail aus Teil 1 der „Silhouetten in den Kellern der Dresdner
Waldschlösschen-Brauerei (…)“, 1878, Lithographie © Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen
Dresden, Photo: Daphneprojekt
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Kurz gesagt: Die meisten dieser Szenen sind dank der Bildunterschriften recht leicht zu deuten. Doch die ausdrücklich als (Bilder-)Rätsel betitelten Motive erschließen sich uns bislang nicht: Was ergibt die Kombination von Wellen bzw. Wasser und Zeit (der Lauf der Zeit?) sowie einem im Entstehen begriffenen Bild- oder Bauwerk? Und was bedeutet die Inschrift? Enthüllt sie den Ort des nächsten Verbandstreffens, dessen Teilnehmer zur Lösung aufgerufen waren? War womöglich sogar die im 1. Teil genannte Summe dafür ausgesetzt? Diese können wir nicht bieten – doch erheben wir auf alle sachdienlichen Hinweise jetzt schon das (Stunden-)Glas!
Petra Aescht
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